„Der Humor hier ist komplett anders. Über meine Witze wurde am Anfang nie gelacht...“

Julia: Warum bist du nach Wallmow gekommen?

Annette: Weil hier in der Nähe ein Kunsthof auf dem Lande entstehen sollte. Wir haben das im Radio gehört. Wir wohnten damals noch in Stuttgart und wollten weg. Der Sascha, mein Ex-Mann, war gerade fertig mit seiner Tischlerlehre. Wir hatten uns schon verschiedene Sachen angeguckt und wollten uns noch angucken, haben gerade so eine Tour gemacht und dann hörten wir im Radio von diesem Kunsthof in der Uckermark. Wir haben irgendwie die Telefonnummer herausbekommen, haben angerufen und sind vorbeigefahren.
Das war schon lustig. Wir haben uns in Kassel so eine Kommune angeschaut und da trafen wir Petra aus Vogelsang, ganz in der Nähe von Wallmow, und sie hat uns viel von Wallmow erzählt.

Lucie: Und sollte es von Stuttgart aus aufs Land gehen oder einfach woanders hin?

Annette: Woanders hin. Aber in irgendein Projekt, also irgendwo mitmachen, nein, das wollten wir nicht. Wir wollten das alleine in Familie, das war ausschlaggebend.

Julia: Und wie war eure Situation? Hattet ihr eine Ausbildung, ein Studium bereits absolviert?

Annette: Also Sascha war Tischlergeselle und ich hatte meine Tischlerlehre unterbrochen, weil ich meine Kinder bekam, zwei Kinder, die eine war damals ein und die andere zwei Jahre alt. (lacht)

Lucie: Das war ja dann ein großer Unterschied von Stuttgart nach Wallmow?

Annette: Das war ein riesiger Unterschied, ja, interessant.

Lucie: Und wie war die Situation in Wallmow, denn es waren ja noch nicht so viele Leute hier wie heute?

Annette: Nö, da waren Henkys, der Peter und Lola vom Brennesselhof. Anja war noch nicht da. Wollt ihr das alles so genau wissen, die Namen und so weiter?

Julia: Ja.

Annette: Wenn es zu ausführlich wird... Ja, wer war da noch da? Pauline, die Karibuleute und Annette Braun, Christiane, und Steffen Walter. Und das war so ne Gruppe. Wir trafen uns oft, zu Geburtstagen und überhaupt. Am Anfang hatten wir alle kein Telefon und da haben wir uns oft besucht. Wir hatten alle noch keinen wirklichen Plan, was wir hier machen wollten. Pinulli und Lola wollten eine Tischlerei aufmachen, war aber auch noch nicht so ernst. Steffen Walter fing mit der Landwirtschaft an, Jonas kam gerade in Klaustal an und irgendwann kam dann auch Rainer.

Julia: Und wie habt ihr die ganzen Menschen kennengelernt? Wallmow und Stuttgart sind ja sehr weit auseinander und sehr unterschiedlich.

Annette: Durch Petra wußte ich ja schon von Henkys, von Peter und all den anderen Leuten. Das war  wirklich lustig. Und als wir dann hierherkamen, da haben wir dann auch Vogelsang besucht.

Julia:  Und da habt ihr einfach gesagt, daß ihr neu hier seid und..?

Annette: Na ja, damals waren die Leute noch nicht so beschäftigt wie heute, sondern jeder ließ sich erst einmal nieder und man hatte halt viel Zeit. Die Kinder waren klein, also machten man auch viel miteinander, setzte sich zusammen, quatschte oder, ja. Und für mich, ja, ihr habt nach dem Unterschied gefragt. Für mich war das wie wiederbelebt zu werden. Ich bin in Stuttgart geboren, das war schon meine Heimat. Aber dadurch, daß ich so früh Kinder bekam, war ich ganz alleine. Meine Freunde studierten oder arbeiteten. Und ich stand plötzlich da mit meinen Kindern. Ich konnte natürlich nicht so weg wie die anderen. Die waren den ganzen Tag beschäftigt und ich war irgendwie ganz einsam. Ich bin dann mit meinen Kindern mal in so eine Krabbelgruppe gegangen. Aber die Mütter dort waren alle viel älter. Die haben mich dann gleich zu so einer Tupper-Party eingeladen. Da hab ich echt  gedacht, ich bin schon gestorben, (lacht), das hat mich doch gar nicht interessiert, scheiß Tupper. (lacht) Und hier in Wallmow war das anders. Hier hast du dich nicht nur mit Müttern unterhalten. Da bin ich zum Kaffee trinken zu Henkys gegangen und die haben von ihren Spinnrädern erzählt, oder der Peter von seiner Landwirtschaft, man bekam etwas von dem Tischlereiaufbau mit. Man hatte viel mehr mit anderen Leuten zu tun und das war sehr schön.

Lucie: War das so ein Gefühl mit Leuten, mit der gleichen Situation oder mit gleichen Ideen zusammenzukommen?

Annette: Hmm, öh, nee, weiß ich halt nicht. Also, ich hatte noch nicht so eine richtige Idee, ich hatte gerade meine Kinder, weißt du, also, (lacht), keine Ahnung. Weiß ich nicht, aber auf jeden Fall merkte ich, ich lebe wieder auf. Und dann fing ja dieser Chor an. Das hat total gefetzt, weil ich wieder bis 2 oder 3 Uhr nachts unterwegs war und das hab ich total genossen.

Julia: Welcher Chor?

Annette: Das Klaustaler Feuerwehrorchester, sehr wichtig, ja (lacht).

Julia: Und da kam die Idee mit der Gesangsausbildung?

Annette: Nee, ich hatte schon in Stuttgart gesungen, aber immer nur bei einem Laien – leider. Aber noch nicht bei einer professionellen Sängerin. Das hat mir schon Spaß gemacht, aber es war auf einem komischen Level. Und hier traf ich dann den Kantor Herrn Stier, der mir sagte, daß ich doch mal ein Solostückchen singen soll. Da merkte ich dann, daß es totale Glückssache war, ob ich einen Ton rausbekomme oder nicht. Da stellte ich fest, daß ich ne Gesangslehrerin brauche. Krzysztow, der als Psychologe in Wendtshof (zu Wallmow gehörend) arbeitete, vermittelte mir dann eine polnische Sängerin.

Lucie: In welchem Jahr war das?

Annette: 94, 95, 96 so oder 97.

Julia: Wie war das, als du hergekommen bist, mit den Dorfbewohnern?

Annette: Also, ich habe erst einmal die Mentalität überhaupt nicht verstanden. Nicht nur die von den Dorfbewohnern, sondern auch von den anderen. Das war wirklich etwas komplett anderes (lacht). Alle meine Bilder und Raster paßten nicht mehr. Also komplett anders hier in Ostdeutschland. Ich komme ja aus Westdeutschland und das war wie eine Fremdsprache eigentlich. Obwohl du die gleichen Wörter benutzt, haben die eigentlich ne andere Bedeutung. Der Humor hier ist  komplett anders. Über meine Witze wurde am Anfang nie gelacht und ich konnte über die Witze der anderen nicht lachen, weil ich sie einfach nicht verstanden habe und die mich nicht. Jonas zum Beispiel. Mit dem bin ich am Anfang ganz doll zusammengeraten, der hat mich sehr verletzt, weil wir uns einfach nicht verstanden haben. Wir mochten uns schon, aber..., also da fühlte ich mich ganz schön einsam und hatte auch Heimweh, ja.

Julia: Gibt es da noch Beispiele? Ich kann mich da gar nicht so gut reinversetzen, weil ich den Unterschied zwischen Ost und West nur aus Erzählungen kenne. Ich merke den gar nicht so.

Annette: Na ja schon. Dieses eine Beispiel, das ist schwer.

Lucie: Na, zum Beispiel in der 3. Person angesprochen zu werden, bist du da angestoßen?

Annette:  Ja gut, das fand ich komisch oder vielleicht auch unfreundlich. Ich dachte immer, daß mich die Leute nicht mögen, weil sie so komisch gegrüßt haben. In Stuttgart ist das völlig anders. Da quatschen dich die Leute einfach an, wenn du mit einem süßen Kind unterwegs bist, also die schwätzen einfach. Das war hier überhaupt nicht, das war echt komisch und ich hab das nicht verstanden. Bis mir dann eine Frau aus dem Dorf, die mir eigentlich immer nur ganz griesgrämig zugenickt hat, die schenkte mir dann plötzlich Tassen, die sie bei einer Butterfahrt bekommen hatte. Da dachte ich dann, daß sie scheinbar doch nix gegen mich haben. Oder eine andere Situation, typisch für das Dorf. Es war Februar und Fasching. Wir haben ganz viele Fastnachtküchlein gebacken, Berliner oder Pfannkuchen. Wir hatten zu viele und da kam ich auf die Schnapsidee, den Kindern einen Bauchladen zu basteln und haben die Pfannkuchen da reingelegt. Wir wollten die einfach auf der Straße verteilen, verschenken. Es stürmte und schneite und war arschkalt. Die Kinder hopsten mit dem Bauchladen und mir auf der Straße herum und keiner wollte die Pfannkuchen. Es waren sowieso nicht viel Leute draußen, aber es nahm keiner die blöden Pfannkuchen. Also, ich habe echt gedacht, ich sterbe (lacht). Das war komisch, aber ne schöne Geschichte.

Lucie: Hast du Kontakt zu den Nachbarn aufgebaut?

Annette: Unsere Nachbarn, also die vor Silvi, die waren böse, richtig böse. Das war nicht schön, da hab ich gelitten.

Lucie: Aber es hat sich mit der Zeit verbessert das Verhältnis zu Dorfleuten?

Annette: Na ja, so ganz kraß habe ich das nie empfunden. Bei den Leuten hab ich dann auch ganz schnell gemerkt, daß manche ganz nett waren wie Frieda Bucher oder die Dörings, die waren wirklich total nett. Am Anfang habe gedacht, ich muß mich so anbiedern, also bringe ich jetzt auch mein Kind in den Kindergarten. Merkte aber sehr bald, daß ich auf ganz andere Gesinnungen stoße. Damals war ich noch, glaub ich, ziemlich dogmatisch, was ich mit meinen Kindern will. Und dann hab ich mir gesagt, daß ich das so nicht will und ich muß das alles nicht mitmachen und mich verbiegen. Ich verstehe die nicht richtig und sie mich nicht.  Aber ich bin auch nicht aufs Land gekommen, weil ich aus der Stadt flüchten wollte oder weil ich hier wahnsinnig Gemeinschaft suchte. So war das gar nicht. War eben eher ein Zufall und eigentlich ohne Konzept. Was ich schon wußte, war, das steht in meinem Tagebuch, das habe ich schon in Stuttgart aufgeschrieben, daß ich mir vorstellen könnte, eine Schule zu machen (lacht), und das hat ja auch funktioniert.

Lucie: Du hast aber die Vorurteile mitbekommen so in Richtung – jetzt kommen die Ökos oder die Hippies? Das ist ja auch jetzt etwas anders für die Leute, die neu hier sind?

Annette: Das waren ja am Anfang nicht viele Leute, da waren wir, glaube ich, völlig unspektakulär. Wir wurden als Verwandte von Peter angesehen, da wir ja hier in seinem Haus wohnten. Es hat mich nicht so tangiert. Die Dorfkinder kamen zu uns, es gab ja noch nicht so viele, die in Seinabs Alter waren. Da gab es gar keine. Aber die Schröderkinder kamen zu uns, kennt ihr die noch, die Sabine mit den vielen Kindern? Die Kinder waren immer hier oder Lydia mit ihrer Schwester und die Sitte, die Antje.
Ich wollte meine Kinder so klein noch nicht in den Kindergarten geben. Das ist auch ein Unterschied zwischen Ost und West. Im Westen, so wie ich aufgewachsen bin, da gab es keine Krippen, da sind die Kinder erst mit 3 Jahren in den Kindergarten gegangen.

Julia: Also hat man auch praktisch nichts gemacht, nichts studiert oder gearbeitet?

Annette: Das war noch nicht so verbreitet. Jetzt kommt das natürlich langsam, aber nicht so wie hier.

Julia: Und wovon hat man gelebt?

Annette: Der Vater hat halt Geld verdient und die Mutter war zu Hause (lacht).

Julia: Und wie hast du dich beruflich weiterentwickelt?

Annette: Ja, ich habe dieses Modell erst einmal nachgelebt. Ich habe das einfach nachgeahmt, was meine Eltern gemacht haben. Ich habe gedacht, o.k., also, ich bin Mutter, ich bin zu Hause und erziehe meine Kinder und der Vater geht arbeiten. Sascha hatte sich gerade selbständig gemacht und konnte in der Tischlerei von Lola und Pinulli arbeiten. Und für mich war klar, daß ich bei den Kindern bin. Ich will die ja nicht irgendwo abgeben und schon gar nicht, wenn es mir nicht gefällt oder wenn ich mit den Leuten nicht reden kann. Und dann wurde mir klar, daß hier eine Schule her muß, sonst bleibe ich nicht hier. Ich war bei einer Schuleinweihung in Klockow und das war so traurig. Da habe ich gemerkt, daß das für mich so nicht geht. Und dann fing alles ziemlich schnell an zusammen mit Christiane, Netti, Pinulli, Petra und Livis Mutter. Wir hatten vom Tuten und Blasen keine Ahnung, haben einfach angefangen.

Julia: Ihr habt die Idee gehabt und entwickelt, geschaut, wie es irgendwie möglich sein könnte?

Annette: Genau, wir mußten erst den Rahmen schaffen. Uns war klar, daß wir ein anderes Schulkonzept haben wollen. Ich war dann immer auf den Gemeinderatssitzungen.

Lucie: Die Schule ist ja ein ganz zentraler Punkt. Hat sich das dann schnell entwickelt? Kamen dann auch mehr Leute dazu?

Annette: Nee, es war so ein Kern von Leuten, die intensiv gearbeitet haben und dann gab es noch Leute drum herum, die man ansprechen konnte. Wir haben das ja alles aufgebaut und vor allem auch gebaut und umgebaut. Da war echt Elan dabei und viele Leute, die viel konnten. Aber davor war alles sehr zäh.

Julia: Die Kinder waren ja auch noch klein?

Annette: Die Zeit drängte schon. Wir wollten ja fertig sein, bis Seinab und Rafael in die Schule kamen und da waren ja auch noch andere Kinder in dem Alter. Es war auch ganz lustig. Wir mußten ja auch solche Analysen schreiben und Pläne machen, wie es wohl perspektivisch aussehen soll. Wir haben immer gut gerechnet, obwohl so viele Kinder ja noch gar nicht da waren. Wir haben dann immer gesagt, ach, die und die wird sicher auch noch schwanger. Wir wollten ja nicht nur ein Jahr bestehen. Ja, und nun sind es schon zehn Jahre Schule und Kindergarten. Ist doch erstaunlich diese Entwicklung. Von 320 Wallmowern sind ca. 70 Kinder und Jugendliche.

Lucie: Und wie war das mit den Einwohnern hier? Fanden die die Idee gut und sind irgendwie integriert worden?

Annette: Na ja klar halt. Da gab es ja noch den Gemeindekindergarten und wir wollten in dem Gebäude auch die Schule haben, wollten aber den Kindergarten nicht kaputtmachen. Die obere Etage war leer und da sollte die Schule rein. Also wollten wir da mit ihnen zusammen, was aber total problematisch war. Wir haben dann immer Einzelgespräche geführt, zum Beispiel mit Frau Rückert, der Leiterin, so wie es sein könnte, und die Räumlichkeiten auch so geplant, daß der Kindergarten dazugehört. Aber es war alles sehr kompliziert. Wenn es auch in den Einzelgesprächen klar war, aber sobald es zur Unterzeichnung des Vertrages kommen sollte, oder auch in den Gemeindesitzungen, da gab es dann immer ein Hin und Her, und das haben wir nicht gesagt und jenes nicht. Das war ätzend, uns wurden viele Steine in den Weg gelegt.

Julia: Gab es also Widerstand?

Annette: Ja. Es wurde nie offen geredet und diskutiert. Waren nicht alle, aber einige, die keinen Arsch in der Hose hatten, die nicht gleich gesagt haben, was ihnen nicht paßt. Aber letztendlich hatten wir dann alles zusammen und dann hat es geklappt. Heute haben wir ein schönes Haus mit Schule und Kindergarten und sogar einer Jugendkunstschule. Ein riesiges Gelände mit Werkstatt und Schulgarten und es gibt immer wieder Anmeldungen für Schule und Kita. Jetzt gehen auch Kinder der „Einheimischen“ in die Schule und den Kindergarten. Es hat alles lange gebraucht, doch jetzt verbindet sich vieles.

Lucie: Habt ihr auch Unterstützung erfahren?

Annette: Teilweise, du meinst jetzt vom Dorf?

Lucie: Genau, die hatten ja auch Kinder.

Annette: Zum Beispiel die Frau Witt, die hat sich interessiert und dann, ich weiß auch nicht, die war ganz interessiert und dann ist irgendwas passiert und es wendete sich alles gegen uns. Keine Ahnung.

Julia: Bei der Frau Witt, da wäre ich gar nicht drauf gekommen!

Annette: Ja, sie war interessiert, aber es ist eigentlich immer nur dann gewesen, wenn sie eben Probleme hatten. Also die hatten, glaube ich, Probleme im Kindergarten mit den Kindern und dann... und das ist natürlich ein schlechtes Omen, wenn jemand kommt, nur weil er woanders Probleme hat.

Lucie: Kam so ein Umschwung gegen euch aus mehreren Richtungen?

Annette: Nein, als wir dann bauten, da waren auch nette Leute, gerade die Alten. Und was ganz schön war, daß  Frau Rabe, die ja noch da unten wohnte, so lieb war und störte sich nie, daß wir Samstag und Sonntag arbeiteten. Auch die Anwohner beschwerten sich nie. Wir arbeiteten also immer am Wochenende und da haben wir nie Probleme gekriegt, das war toll.

Julia: Und als ihr dann angefangen habt mit der Schule und dem Unterrichten; mit der Unterrichtsform gab es schon Skepsis, weil die ja so völlig anders war?

Annette: Es gab auch schon beim Umbau Skepsis; als wir sagten, wir wollen jetzt umbauen, dann sagten die: „Na ja, und wenn ihr kein Geld mehr habt, was ist dann?“  Und wir immer “NEIN, nein, das schaffen wir schon!“ [allg. Lachen] Und wir hatten wirklich kein Geld, also, das ist schon noch ne lustige Sache. Wir hatten wirklich kein Geld, wir hatten keinen Pfennig [...] wir hatten keine Genehmigung für die Schule, wir hatten keinen Kredit, wir hatten nichts, aber wir mußten alles...vorbereiten.
So, und die Christiane, das war immer so lustig, die Christiane, die rüttelte da immer mit den Banken, daß wir also irgend einen Kredit bekommen und ich rüttelte immer mit dem Bauamt. Das war schon ziemlich zum Sommer hin, es sollte die Heizung eingebaut werden, also der große Kessel, der da unten steht. Ein schweineteures Ding. Und wir hatten nun also den Kredit, ich glaub noch nicht mal ganz richtig, also noch nicht die 100%ige Zusage. Wir hatten ja bei so einer anthroposophischen Bank, die heißt GLS Bank, haben wir einen Kredit gekriegt, der so was Besonderes ist – also, wir hatten den Kredit noch nicht 100%ig und unsere Genehmigung für das Gebäude war gerade abgelehnt worden und die Presse hat das sofort veröffentlicht, war also morgens in der Zeitung gestanden: „Die Schule wird nicht eröffnet, nicht genehmigt.“ Es war aber oben schon ausgebaut und unten sollte jetzt gerade dieser Kessel eingebaut werden und der Herr Richter, der Heizungsinstallateur, rief mich morgens an und sagte: „Frau Bohsung, in der Zeitung steht, ihre Schule wird nicht genehmigt,  was soll ich jetzt machen? Soll ich den Kessel einbauen?“ Sag ich: „Ja“ [lacht], sagt er: „Okay, dann kommen Sie jetzt her und dann will ich Ihre Hand und dann bau ich das ein.“  Und dann rief ich Christiane an und sag: „Was soll ich denn jetzt machen?“ Sagte sie: “Dann fahr jetzt hin!“ [lacht]. Das war echt spannend und dann hat es  alles geklappt, es hat immer geklappt.
Also dann, dann haben wir eben diesen Kredit gekriegt, das war ja so gut, dann waren wir erst mal übers Gröbste hinaus. Und dann war ein Jahr in Taschenberg; da waren wir immer nur zwei Tage hier – Exkursionstag [lacht]. Und dann war klar: wir werden genehmigt, also ein Jahr verspätet, und diese ersten zwei Jahre hätten wir aber kein Geld gekriegt vom Land und wir brauchten eine Förderung, sonst hätten wir auch wieder nicht leben können und auch am letzten Schultag oder kurz vorher war dann klar, wir kriegen von der Robert-Bosch-Stiftung das Geld, also weißte, oh, das war immer so glücklich, also wir haben immer so völlig naiv angefangen[...]

Julia: Also habt ihr praktisch die Idee gehabt, habt euch zusammengesetzt, habt organisiert, habt geguckt, wo gibt es Freunde, habt die Räume ausgebaut, habt die Heizung eingebaut und habt dann irgendwann den Lehrer ...?

Annette: Na, nee, da war der Lehrer schon da, da war Mick schon da.

Lucie: Aber es hat bestimmt auch geholfen, daß so viele selber angepackt haben, oder? Ich kann mich erinnern, wir sind als kleine Kinder da hoch gelaufen und das war voller Bau, war ne klasse Stimmung irgendwie.

Annette: Super, es hat totalen Spaß gemacht und wirklich so viele Fähigkeiten, zum Beispiel der Dirk hat die Heizung komplett gemacht, also und der Herr Richter war auch so nett, hat dann gesagt, okay, er nimmt das ab, er baut halt diesen Kessel ein, aber ansonsten, das hat alles Dirk gemacht... Ja, es können einfach viele hier viel, ja und das war super.
Ja, das war schön... (lacht) Ah nee... (Lacht)
Und dann haben wir auch so Material hergestellt, so Perlenmaterial und solchen Kram...

Lucie: Wie ist diese Idee von Montessori denn entstanden? Ist das schon vorher in euren Köpfen gewesen? Oder war es nur so, es sollte was Freies sein...

Annette: Du, also ich war da, ich war ja in der Waldorfschule, ich war da natürlich geprägt und dachte, ja, das will ich auch für meine Kinder und das war für mich schon ein Umbruch, also dann kam ich hierher und hier sind ganz viele Leute eigentlich ganz vorbelastet oder ganz negativ vorbelastet gegen die Waldorfschule, es ging also jetzt auch um Netti und Pinulli ... Also, es war ein negatives Bild, was ich irgendwo auch mittlerweile teile, ja so - nicht nur! Ich hab da auch ganz Schönes erlebt, aber ich seh es nicht nur so rosarot wie damals.
Ja, naja, und dann haben wir eben Taschenberg angeguckt und durch das Taschenberger Konzept waren wir, weil wir halt mit denen zusammensein wollten, hatten wir auch schon eine Richtung, weißte... Aber mich hat es erstmal eigentlich bedroht, also das war dann wirklich so komisch und...hat mir auch Angst gemacht, ob das dann funktioniert.
Aber da haben wir wahnsinnig viel gelernt und ich glaub, deswegen waren die ersten Treffen auch so urlang, bis 3:00 Uhr nachts, weil wir eigentlich so über so Fragen halt geredet haben (lacht)... ellenlang...
Na und dann fing irgendwann der Kindergarten an, genau, das hab ich noch nicht erzählt. Irgendwann ja schließlich die Kindergruppe, die fing dann irgendwann, also ich hatte dann das Gefühl, so, meine Kinder brauchen mal auch andere Kinder irgendwie und ich sagte dann okay, ich mach jetzt nun Kindergarten, nun Waldkindergarten, ich laufe immer mit denen draußen rum. Und dann kam aber niemand, weil für alle war das so umständlich, weil, ich wollte auch nicht den ganzen Tag, das wär mir zu viel gewesen, und das Abholen mittags, das war halt dann problematisch und dann kam Gott sei Dank eine Frau, die Frau Brennenstuhl, weißt du, die hatte auch keine Lust, die Kinder hier in den Kindergarten zu stecken und die hat die eigentlich immer mitgenommen auf dem Traktor, es sind ja auch Landwirte. Und dann hat sie die hierher gefahren und so hat es eben angefangen, also von denen zwei Kinder, meine drei, und dann sind wir so mit dem Leiterwagen herumgezogen. Dann kam Klaus irgendwann dazu und das war mit Clochard, das war lustig, der hatte immer sein Pferd dabei, es war ziemlich chaotisch (lacht)! Ziemlich chaotisch wirklich.

Julia: Es ist ein lustiges Bild, sich vorzustellen, wie eine junge Frau mit fünf hopsenden Kindern jeden Tag irgendwo rumrennt.

Annette: Ja, ich will  was Praktisches, ich wollte was mit den Menschen machen.
Und irgendwie ist es ja was geworden [lacht], nicht mit Tischler, aber na ja.

Lucie: Wie ist deine Situation heute? Mit den Kindern und der Schule und alles? Ein Kind geht ja noch hier zur Schule...

Annette: Ja, gut! Ich bin total dankbar, wie stark die Kinder durch die Schule sind und ich denk auch durch den Ort hier. Die Situation ist gut für mich. Ich kann immer mehr los und wirklich meine Wünsche verfolgen...[lacht] oder mein, wirklich meinen Weg verfolgen...

Lucie: Was wünschst du dir noch für dich?

Annette: Na, Sängerin sein [lacht]... ja, und Musikpädagogin macht mir totalen Spaß.

Lucie: Und gab es schon mal die Vorstellung, daß du später wieder weggehst aus Wallmow?

Annette: Ja.

Lucie: Und wie ist das jetzt?

Annette: Ja, die ist da. Also, es gab Zeiten, wo ich dachte: „Nein, ich bleib hier.“  Das ist noch nicht ewig her, aber so ist es nicht mehr. Ich kann mir vorstellen, wegzugehen.

Lucie/Julia:  Und durch welche Anstöße, also welche Bedingungen müßten da herrschen?

Annette:  Na ja, also in drei Jahren ist Seinab mit der Schule fertig, Zoe ist mit der Sek I fertig... Ruth leider schon in zwei Jahren - das könnte besser passen hier mit der Dorfschule, das könnte so ein Punkt sein. Ich weiß noch nicht.
Also, ich liebe wirklich, hier zu sein. Ich liebe inzwischen die Landschaft ganz doll, die mir am Anfang ganz fremd war. Ich fühl mich hier wirklich zu Hause und es hat sich, obwohl ich so lang schon hier leb, hat sich ganz viel gewandelt, auch im Zwischenmenschlichen. Ich kenne eben manche Menschen jetzt so gut, das ist schön.

Lucie: Wie siehst du das heute? Bist du zufrieden mit der Situation in Wallmow? Gibt es Dinge, die dich besonders erfreut haben?

Annette: Ja, daß so viele Kinder hier sind, das find ich himmlisch (lacht).

Lucie: Und gibt es Sachen, wo du denkst, die könnten noch verändert werden in der Gemeinschaft oder generell im Dorf?

Annette:  Was ich mir wünschen würde, wäre ein Schachbrett im Dorf, [lacht] oder ein Tischtennis hier in der Nähe.
Nein, ich glaub, das bringt alles die Zeit. Mein Wunsch, ihr fragt eben nach diesen Alteingesessenen und Neuen zusammen? Mit manchen Menschen hab ich hier ne Verbindung, auch von denen, die Alteingesessene sind, eine ganz herzliche. Und mit manchen nicht. Und das geht mir aber mit den  Zugezogenen genauso.

Lucie: Würdest du es schon als Heimat betrachten?

Annette:  Ich fühl mich zu Hause. Das hat nicht nur mit den Neuzugezogenen zu tun, sondern einfach mit dem, was ich hier erlebt hab. Hab ja hier auch ein Kind gekriegt, also nicht hier in dem Haus, aber hier in der Gegend.

Lucie:  Und findest du, daß die Entwicklung von der Verbindung mit den Alteingesessenen und den, na ja, Zugezogenen schon besser geworden ist?

Annette: Ich find, das wird entspannter, wobei ich auch nicht mehr in irgendeinem Kreuzfeuer sitze. Weißte, ich will jetzt keine Schule durchsetzen oder kein Mehrgenerationenhaus. Ich bin da nicht gerade so brennend. Ob ich hier singe oder nicht, das interessiert keinen. Und ich bin auch ganz viel woanders, auch viel in Berlin. Am Anfang war ich  nur hier und jetzt streut sich das. Jetzt geh ich wieder mehr in die Welt.

Lucie: Brauchst du das auch so für dich, also vielleicht mal zwischendurch auch wieder in die Stadt zu kommen oder in andere Regionen?

Annette:  Natürlich, ich fahr einmal in der Woche nach Berlin und ich genieß das, da ganz viel zu lernen. Und andere Menschen. [lacht]

Lucie: Fällt dir noch etwas ein?

Annette:  Na ja, wie gesagt, ich glaube, man kann das Zusammenkommen nicht erzwingen.  Mir ist das so aufgefallen, als ich hierher gekommen bin, war ich zu dem Zeitpunkt bereit, alles neue auf mich zu lenken, weißte, alles, was kommt. Und ich kam aber hier in ein Gefüge rein und die Menschen, die hier leben, sind vielleicht gerade nicht bereit für Veränderungen oder haben gerade keine Lust auf Veränderungen. Und dann ist man nicht offen, und das merk ich auch, also jetzt, ich bin wie gesättigt sozusagen, ich hab meine Freunde, ich will mich weiterentwickeln, ich hab den Drang nach Bildung und bin da ziemlich beschäftigt, zu unterrichten und gleichzeitig zu lernen, das ist ganz schön viel. Und da merk ich auch: ich bin nicht so offen, wenn neue Leute kommen. Ich hör zwar, es kommt jemand, oder zieht hier neu ein, aber ich renn nicht sofort zu dem. Früher bin ich sofort zu dem gerannt. Also bin ich ein Stück schon wie alteingesessen. Ich glaub, ein Mensch kann nicht permanent offen sein, sondern man konzentriert sich ja auf bestimmte Dinge. Ich bin schon freundlich, aber ich bin nicht so, daß ich ihn jeden Tag zum Kaffee einlade.

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